Sind Wir ein Volk? – 60 Jahre Mauerbau

Von Ibrahim Amberg

In den Herbstferien durfte ich an der Begabtenakademie der Wolfsburg teilnehmen. Thema der Akademie war die deutsche Teilung von 1949 bis 1990 und die Auswirkung, die diese bis in die heutige Zeit hat. Das Thema finde ich sehr spannend, da es in der Schule nur teilweise und nicht tiefer gehend behandelt wird. Am 11. Oktober machte ich mich nun also mit dem Zug auf den Weg nach Mülheim an der Ruhr, da sich dort die Akademie befindet. Als ich ankam, traf ich zum ersten Mal auf die 11 Schüler *innen aus ganz NRW, mit denen ich die Woche verbringen würde. Zu Beginn machten wir mehrere Kennlernspiele, um die Gruppendynamik anzukurbeln. Dies gelang gut und wir wurden schnell warm miteinander. Nach einer kleinen Pause begann auch schon das sehr gut gefüllte Programm. Wir wurden von Dr. Jens Oboth, Dozent für Zeitgeschichtsforschung an der Wolfsburg, herzlich begrüßt und in das Thema eingeführt.

In der ersten Einheit gab uns Dr. Frank Hoffmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutschlandforschung der Ruhr-Universität Bochum, einen ausführlichen Überblick über die 40-Jährige Teilungsgeschichte von 1949 bis 1989. Anschließend bewertete er gemeinsam mit uns die Lebenswirklichkeiten in Ost- und Westdeutschland und deren Verbindung und Kommunikation miteinander. Der Tag wurde gekrönt von einem Zeitzeugengespräch mit Peter Keup, der aufgrund eines Ausreiseantrags seiner Familie in das Visier der Stasi geriet und nach einem missglückten Fluchtversuch zu einer zehnmonatigen Zuchthausstrafe verurteilt wurde. Keup erzählte uns eindrücklich Details aus seinem Leben in der DDR. Nach einer kurzen Nacht begaben wir uns am nächsten Tag zum Hauptbahnhof Duisburg, um mit dem ICE nach Berlin zu fahren. Während der fünfstündigen Fahrt studierten wir die Biografien der Zeitzeugen, die wir auf unserer Fahrt noch treffen würden. Angekommen verstauten wir unser Gepäck im Hostel und machten uns sofort auf den Weg zur Kulturbrauerei, wo wir durch die Ausstellung „Alltag in der DDR“ geführt wurden. Im Anschluss machten wir Kiezspaziergang im Prenzlauer Berg. Dort wurden das Leben und die Arbeit in der Deutschen Demokratischen Republik thematisiert. Den Abschluss des Tages bildete ein abendlicher Gang zur East Side Gallery, wo wir die Werke betrachteten, die Künstler aus der ganzen Welt 1989 an der Berliner Mauer hinterließen. Die ersten beiden Einheiten des nächsten Tages wurden der Bernauer Straße gewidmet. Eine Führung zeigte den Grenzverlauf und die Bewachung des selbigen mitten im Stadtgebiet. Anschließend hatten wir die großartige Möglichkeit einen Diskurs mit Joachim Neumann zu führen, einem der Tunnelbauer der Tunnel „27“ und „57“. Er schilderte authentisch seine Erfahrungen und Erlebnisse beim Bauen der Fluchttunnel und beantworte bereitwillig jegliche Fragen, die von uns gestellt wurden. Einer der von ihm gebauten Tunnel wurde im Jahre 1963 verraten. Im Verlauf des Tages beschäftigte uns dieser Verrat noch ein zweites Mal. Wir hatten die einmalige Gelegenheit, in das Archiv der ehemaligen Stasi-Zentrale zu fahren. Dort wurden wir in die Arbeitsweise und Organisation des Ministeriums für Staatssicherheit eingeführt und hatten die Möglichkeit, mit ausgewählten Akten die Hintergründe des „Verratenen Tunnels“ zu ergründen. Besonders der Umgang der Stasi mit inoffiziellen Mitarbeitern hat mich fasziniert, auch die Beweggründe, warum Menschen zu IMs wurden.

Im Zentrum des Donnerstages stand das ehemalige Zuchthaus in Cottbus. Nach einer einstündigen Zugfahrt trafen wir uns am Bahnhof mit Peter Keup, den wir ja am Montag schon kennenlernen durften und gingen dann zur Gedenkstätte. Herr Keup führte uns dort durch das Zuchthaus, wo er selbst neun Monate inhaftiert war und berichtete bewegend von den Leiden, die er im Gefängnisalltag erlitten hatte. Den zweiten Teil des Tages bildete ein Workshop zum Schicksal zweier Personen, die aus unterschiedlichen Motiven und Perspektiven die DDR verlassen wollten, und wie sie dieses Ziel erreichten. Die Akademie wurde am Freitag mit dem Gespräch „Sind wir ein Volk? Baustellen zwischen Ost- und Westdeutschen“ mit Dr. Wolfgang Thierse, dem ehemaligen Bundestagspräsidenten von 1989 bis 2005, gekrönt. Zwei Stunden lang hielten wir eine gewinnbringende Konversation über aktuelle und historische Gemeinsamkeiten und Baustellen zwischen Ost- und Westdeutschland und diskutierten die Frage: „Wie viel Gleichheit bedeutet Einigkeit?“.
Nach diesem außerordentlichen Erlebnis begaben wir uns zum Berliner Ostbahnhof, um nach Hause zu fahren. Mir hat die Woche in der Akademie sehr gut gefallen und so kann ich allen nur ans Herz legen, sich über dieses Angebot zu informieren und evtl. sogar selber bei einer der nächsten Schülerakademien mitzumachen. Die nächste Gelegenheit dazu wäre in den Osterferien 2022 zum Thema Demokratie.

Du hast Interesse an der Akademie in den Osterferien? Dann melde dich bitte bei Frau Quandt