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Willkommen auf der Homepage des Ratsgymnasiums Münster

Kreative „Passfälscher“ aus der Klasse 8c des Ratsgymnasiums in Münster lernten im Kunstunterricht und in der Villa ten Hompel, was es in der NS-Zeit bedeuten konnte, unter einem anderen Namen untertauchen zu müssen.

„Ihre Papiere bitte!“ Rainer Stoye bleibt höflich, aber bestimmt. Und verkneift sich bei der vermeintlichen Einlasskontrolle in den Geschichtsort Villa ten Hompel immer das Lachen, denn die Pässe, die dem Hauptkommissar mit viel Humor von Jugendlichen an dem Morgen vorgelegt werden, sind nicht nur durchweg alle gefälscht, sondern auch noch kunterbunt. Kreativ gestaltet als persönliche Werke, die im Fachunterricht des Künstlers Ruppe Koselleck entstanden sind in der 8c des Ratsgymnasiums Münster. Ein Spaß auch mit den sehr ernsten Themen im Hintergrund. Geschichtlich hat die engagierte Klasse der Mittelstufe mit den Lehrkräften und ihrem Fach-Referendar Lukas Schötz auch mit thematisiert, was es früher im NS-Staat bedeutete, als sich Verfolgter unter einem anderen Namen als dem eigenen verstecken zu müssen. Oder nur unter Angst vor Verrat, Razzien oder Entdeckung überleben zu können. Mit gefälschten Pässen oder illegal abgezweigten Lebensmittelkarten.

Viele Biographien, Filme und persönliche Quellen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen belegen solche Schicksale der Verfolgung – auch in der Dauerausstellung „Geschichte Gewalt Gewissen“ in der Villa ten Hompel, die sich die Klasse anschaute nach der „Passkontrolle“, von der alle wussten, dass sie inszeniert ist. Dennoch: „Es ist schon unheimlich aufregend, plötzlich von einem uniformierten Polizisten kritisch zur eigenen Person befragt zu werden“, befand in Rückmeldungen die Klasse, die sogar kreativ eigene Nationen für ihre „amtlichen“ Unterlagen in Kunst erfunden hatte: RAVE zum Beispiel, das „Reich aller Völker Europas“, wie Ruppe Koselleck sich erinnert. „Und das verschwundene Atlantis taucht auch mal auf.“

Wie zudem die Türkei, obwohl deren höchst hoheitliche Wasserzeichen handgemalt sind im Pass eines Schülers, der kurzerhand ein buntes Kinderfoto von sich mit dazugeklebt hatte. Anhand welcher Kriterien es strafbar ist, im richtigen Leben Dokumente zu fälschen, erklärt Rainer Stoye geduldig in Gruppen, die kontrolliert werden. Und er berichtet ihnen, wie er als Polizeibeamter in Ermittlungsverfahren, die mit der NS-Vergangenheit zu tun hatten, vorging.

Die Idee, den Brückenschlag von der Kunst des Fakens und Fälschens auch ins Historische zu wagen von den Unterrichtsgesprächen her, verbanden Ruppe Koselleck, Lukas Schötz und andere Aktive aus dem Kollegium des Ratsgymnasiums mit dem Besuch in der Villa ten Hompel: Außerschulisches Lernen sei gerade bei den Kapiteln der NS- und Nachkriegszeit ausgesprochen wichtig. „Wir setzen hier einen künstlerischen Akzent, weil dieser Zugang ein sehr spielerischer und fantastischer ist, der es erlaubt, sich selbst, seinen eigenen Staat und seine Person mit all ihren Rechten und Privilegien zu erfinden. Der ernste historische Hintergrund ­des Überlebens durch falsche Papiere, der wird erst mit dem Betreten des Erinnerungsortes in seiner ganzen Tragweite bewusst und erlaubt einen anderen Zugriff auf Gegenwart und Zeitgeschichte.“

Die Dramatik, eigene Namen ab- oder anderseits sich sogar Zwangsnamen zusätzlich zulegen zu müssen, erlebten gerade in der Diktatur jüdische Deutsche als qualvolle Entrechtung. Umso empörender, dass sich Nationalsozialisten nach Kriegsende ihrer Verantwortung für die Verbrechen in der Shoah zu entziehen suchten. „Das Perfide: NS-Täter tauchten nach 1945 unter, indem sie sich ebenfalls eine neue Identität zulegten oder untereinander halfen zu verschwinden“, erinnert Stefan Querl, Leiter des Geschichtsortes Villa ten Hompel, der als Beispiel Adolf Eichmann in Argentinien nennt. Israel hatte den später im Jahre 1963 verurteilten Kriegsverbrecher trotzdem ausfindig gemacht. Er wurde in den Nahen Osten entführt, um ihm dort in Jerusalem rechtsstaatlich den Prozess zu machen – eine Entscheidung, die bis heute viele Interessierte in der Welt über Adolf Eichmann und die „Banalität des Bösen“, wie es die Prozessbeobachterin und Philosophin Hannah Arendt nannte, debattieren lässt und juristisch detailreich beschäftigt.

Auch die 8c wird sich weiter mit spannenden Fragen von Zeitgeschichte und Zivilcourage beschäftigen. So bietet das Ratsgymnasium im 9. Jahrgang mit der Akademie Franz Hitze Haus und der Villa ten Hompel u.a. KZ-Gedenkstätten-Exkursionen nach Bergen-Belsen an.

Im Kunstunterricht besuchte die 8c des Ratsgymnasiums die Villa ten Hompel – mit Pässen aus der eigenen Kreativwerkstatt. Bei allem Spaß am „Fälschen“ setzten die Jugendlichen sich gemeinsam mit dem Künstler Ruppe Koselleck (mittig hinten) auch mit der sehr ernsten Frage auseinander, was es in einer Diktatur bedeutet, unter falschem Namen untertauchen zu müssen. Fotos: Stefan Querl

 

Foto und Fingerabdruck für die „Fälschungen“ – Künstler Ruppe Koselleck ist enorm zufrieden mit den Werken seiner Schülerinnen und Schüler.

 

„Achtung, Kontrolle“, aber freilich gespielt: Rainer Stoye von der Polizei Münster prüfte die Pässe spaßeshalber. Später berichtete er, was es im Rückblick auf die NS-Vergangenheit bedeutet, Identitäten von Opfern oder Tätern klären zu müssen, denn als Polizeibeamter war er an der Aufklärung von NS-Verbrechen beteiligt.

 

Auch seinen eigenen echten Ausweis holte der Hauptkommissar für die Gäste am Geschichtsort Villa ten Hompel aus der Geldbörse.